89.

Erst im Verlaufe des Jahres, während dem ich mich wiederholt auf dem Grundstück aufhielt, den Einladungen des Besitzers folgend, fiel mir am westlichen Rand des Waldes ein grosser Schatten inmitten der Bäume auf. Es war eine starke Einbuchtung, die einem dunklen Eingang ins Gehölz glich. Je länger ich diese Vertiefung betrachtete, desto eigenartiger erschien sie mir. Das, was mich anschwieg, sich mir verdunkelt zeigte wurde zu einer Öffnung, durch welche die Winde der Vergangenheit wehten. Im Nachinhein dachte ich an Antonioni’s Blow Up. An den Fotografen, der den extrem vergrösserten Abzug des leblosen Körpers betrachtet, der auf einem Bild auftauchte, das er geschossen hatte als „Realitätsbeleg“, und der sich nun vor ihm in der Körnung vollständig auflöst, zu einer unbestimmbaren Masse wird. Was sich ihm zeigt, was ihm übrig bleibt ist das Medium selbst. Ein subjektiver Interpretationsraum, der sich eindeutigen Zuschreibungen entzieht und damit auf die Manipulierbarkeit des Mediums aber vor allem auch auf die Fähigkeit der Manipulation durch das Medium verweist.

Etwas später führte mich der Grundstückbesitzer durch seinen abschüssigen Garten. Vorbei an meterlang aufgeschütteten Erd- und Schutthaufen aus denen alte Kleiderfetzen hingen, in denen kleine Kartoffeln wuchsen und vereinzelt Schlangen nisteten.
Weiter unten hatte er einen Teich angelegt. Im Wasser lagen die noch geschlossenen Knospen einer Seerose. Sie wirkten unscheinbar, zurückhaltend, wie die sumpfige Farbe des Teiches. Als wären sie direkt daraus hervorgegangen, aus dem trüben, schlammigen Untergrund.

Wir gelangten in eine kleine Orangerie, wo er mir die einzelnen Bäumchen zeigte. Sie trugen bereits Früchte: Pampelmusen, Süssorangen, Zitronen und, unerwarteterweise, Pomeranzen.
Es geschieht manchmal, meinte der Grundstückbesitzer, dass die Krankheit „Tristeza“ einzelne Süssorangenbäume befällt und dazu führt, dass sie sich ihres Ursprungs erinnern. Dann wachsen Dornen aus ihren Stämmen, die Früchte werden bitter. Wenn Natur, deren Bewegungen und Erscheinungen Sprache ist, dann lässt sich wohl mit Michail Michajlovič Bachtin sagen, dass die nun wiederhergestellte Polyphonie eine Monologizität aufbricht, die durch das stete Veredeln zur Süsse erzeugt worden ist. Er holte einen Zettel aus seiner Tasche, notierte etwas und hing ihn an den Pomeranzenbaum. Noch bevor ich ihn fragen konnte, was es damit auf sich hat, hatte er sich einen Lärmschutz aufgesetzt und dem einzigen Granatapfel zugewandt.
Die Party, die schon früh begonnen, unten im Hafen, wurde lauter. Die verzerrten Beats erreichten den Garten.
Im frühen Abendlicht setzte ich mich, eine Zigarette rauchend, auf einen Stein neben dem Eingangstor und hörte dann, wie von unten herauf, entlang des hohen Bambussaumes, etwas emporrannte. Ein grosser, magerer Feldhase blieb einige Meter vor mir stehen. Wir schauten uns an, er wandte sich um und verschwand.